Beyond Certification: Warum die Zertifizierung nicht das Ziel das Qualitätsmanagements sein darf

Führt ein Unternehmen ein Qualitätsmanagementsystem ein, dann ist in der Regel auch eine Zertifizierung geplant. In den meisten Fällen ist die Zertifizierung auch richtig und wichtig. Ist die Zertifizierung jedoch das konkrete Ziel deines QMs, dann bist du drauf und dran, ein Qualitätsmanagementsystem zu schaffen, dass niemandem Freude macht. Dir nicht, deinen Mitarbeitern und Kollegen nicht und deinem Auditor auch nicht. Welche Zielkonflikte du hier möglicherweise übersiehst, diskutieren wir anhand eines Brötchens. 

Betrachten wir das Qualitätsmanagement an dieser Stelle einfach mal als einfaches Optimierungsproblem. Dazu fangen wir mit einem Beispiel an, dass erstmal nichts mit dem Qualitätsmanagement zu tun hat. Stell dir vor, du bist Bäcker!

Deine Sonntagsbrötchen sind die besten, du hast keine Kunden, du hast Fans. Nur mit deiner eigenen Rendite bist du unzufrieden. Durch steigende Einkaufspreise sind deine Produktionskosten stark gestiegen. Deine Kunden sind zwar loyal, aber preissensibel. Aufgabe: Optimiere deine Rendite!

In unserem Beispiel hast du zwei Stellschrauben: Einkaufspreis und Verkaufspreis. Da du Angst hast, deine preissensiblen Kunden könnten auf Tiefkühlbrötchen umsteigen, drehst du an den Einkaufspreisen: Du ersetzt in deinen preisgekrönten Sonntagsbrötchen das teure Weizenmehl zu großen Teilen durch feines Sägemehl.

Was passiert jetzt als Nächstes? Der nächste Sonntag wird wahrscheinlich der renditestärkste Sonntag deiner Unternehmensgeschichte. Du verkaufst genauso viel Brötchen wie immer, verdienst aber deutlich mehr Geld damit. Deine Rendite geht durch die Decke! Also Ziel erreicht? Wahrscheinlich nicht! Selbst wenn deine Kunden echte Fans sind, werden Sie diesen Qualitätsverlust nicht lange tolerieren. Der wirtschaftliche Abstieg deiner Bäckerei ist sicher. Dir hilft auch das renditestärkste Produkt nicht, wenn es keiner mehr kauft und du keinen Umsatz mehr machst.

Wir wollten die Rendite deiner Bäckerei steigern, aber wir haben sie versehentlich in den wirtschaftlichen Abgrund getrieben. Was haben wir falsch gemacht? Wir haben ein Ziel definiert, aber wir haben es versäumt, den Zeithorizont zu definieren und Nebenbedingungen aufzustellen. Wie müsste also eine sinnvollere Zielstellung mit Nebenbedingungen aussehen? 

Ziel: 

Optimiere die langfristige Rendite der Bäckerei …

Nebenbedingung:

… ohne dabei die Qualität der Brötchen zu kompromittieren

… ohne dabei die Kundenzufriedenheit zu gefährden

Nebenbedingungen versperren in der Regel immer den direkten Weg zum Ziel, sorgen aber gleichzeitig dafür, dass keine ungewollten Nebenwirkungen auftreten. 

Was hat unser Bäcker-Beispiel jetzt mit dem Qualitätsmanagement zu tun? Auch im QM führen unüberlegte Ziele häufig zu unbefriedigenden Ergebnissen.

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Auch der Bäcker muss seine Ziele weise wählen

Zertifizierung oder Qualitätsmanagement als Ziel? Macht das einen Unterschied? 

Was passiert, wenn wir eine ISO 9001 Zertifizierung als Ziel ausrufen? Ähnlich wie in unserem Brötchen-Beispiel wählen wir den kürzesten Weg zum Ziel. Mithilfe von Word und Excel erstellen wir schnell die für eine ISO-Zertifizierung erforderliche Dokumentation.

Über eine sinnvolle Integration der QM-Dokumentation in die übrigen Unternehmensprozesse wird gar nicht erst nachgedacht, weil es keine Anforderung der ISO 9001 ist. (Wieso Excel für das Qualitätsmanagement in der Regel nicht hilfreich ist und woran die Integration des QM in die übrigen Unternehmensprozesse scheitert, kannst du in den verlinkten Artikeln nachlesen.)

Was wir bei unserer Zielsetzung völlig übersehen, ist, dass das Qualitätsmanagement mit der Zertifizierung nicht endet, ganz im Gegenteil, häufig geht es dann erst richtig los. Wir haben also schon wieder den Zeithorizont übersehen. Insbesondere, wenn wir ein gelebtes QM wollen, dann brauchen wir kein Qualitätsmanagement, dass nur an einem Tag des Jahres zum Audit funktioniert. Sondern wir brauchen ein QM, das an 365 Tagen des Jahres funktioniert und gleichzeitig für den Tag des Audits die richtigen Ergebnisse produziert. Dementsprechend müssen wir das Qualitätsmanagement über einen Zeitraum von Wochen, Monaten und Jahren hinweg betrachten. Eine Zertifizierung bezieht sich aber immer auf einen Zeitpunkt (Datum des Audits). Wir laufen also Gefahr, dass wir uns für eine Form der Dokumentation entscheiden, die zwar für das erste Zertifizierungsaudit ausreichend ist, die aber nicht berücksichtigt, ob damit auch über die Zertifizierung hinaus sinnvoll damit gearbeitet werden kann. 

Vielleicht sollte die Zertifizierung dann gar nicht unser Ziel sein. Unser Ziel sollte ein funktionierendes Qualitätsmanagement sein. Die Zertifizierung wird dann nur noch auf eine Nebenbedingung reduziert. Eine weitere Nebenbedingung könnte zum Beispiel sein, dass das QM für alle Mitarbeiter leicht zugänglich und verständlich ist. 

Ziel:

Aufbau eines langfristigen Qualitätsmanagements, ...

Nebenbedingung

… welches eine Zertifizierung nach ISO 9001 ermöglicht

… welches einfach und leicht zugänglich ist, um eine Einbindung aller Mitarbeiter zu ermöglichen

Natürlich wäre es noch notwendig, die einzelnen Nebenbedingungen weiter zu spezifizieren, zum Beispiel welche Voraussetzungen für eine einfache Einbindung der Mitarbeiter gegeben sein müssen. Aber an dieser Stelle wollen wir uns nicht in Details verlieren.

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Der Aufbau eines langfristigen Qualitätsmanagements gelingt nur durch sinnvolle Integration der QM-Dokumentation in die Unternehmensprozesse

Ist das Qualitätsmanagement überhaupt das Ziel?

Angenommen, wir haben das ernsthafte Ziel, unser QM wirklich in alle Unternehmensprozesse zu integrieren und ein gelebtes Qualitätsmanagement aufzubauen.  Wie muss dann unser Ziel aussehen? Dazu müssen wir zunächst kurz klären, was das Wort Integration hier eigentlich bedeutet: 

Für mich bedeutet eine Integration des Qualitätsmanagements, dass für das QM keine eigenen redundanten Strukturen geschaffen werden, sondern die Strukturen genutzt werden, die sowieso vorhanden sind (oder sein sollten). Jedes Unternehmen definiert für sich Ziele, muss Risiken bewerten und Maßnahmen nachverfolgen. Also sollten auch die Ziele, Risiken und Maßnahmen, die für das QM relevant sind, in denselben Strukturen definiert, bewertet und nachverfolgt werden. Für ein gelebtes Qualitätsmanagement muss das QM also in bestehende Strukturen eingebunden werden oder es müssen gemeinsame Strukturen geschaffen werden.

Können wir unser Qualitätsmanagement dann überhaupt noch isoliert betrachten? Oder müssen wir es in einem viel größeren Kontext sehen? Und was bedeutet das für unsere Zielsetzung? Ist das QM selbst dann überhaupt noch das Ziel oder muss das Qualitätsmanagement selbst dann nicht nur noch eine Nebenbedingung sein?

Wie wäre es hiermit:

Ziel:

Eine effiziente Unternehmensorganisation und -dokumentation, …

Nebenbedingungen
… welche einfach und leicht zugänglich ist, um eine Einbindung aller Mitarbeiter zu ermöglichen

… die auch die Dokumentationsanforderungen des Qualitätsmanagements berücksichtigt und eine ISO 9001 Zertifizierung ermöglicht.

Plötzlich reden wir gar nicht mehr darüber, wie du dein QM dokumentierst. Vielmehr geht es jetzt um, wie du dein Unternehmen als Ganzes organisiert und strukturierst, sodass deine ISO 9001 Zertifizierung nur noch ein Nebenprodukt deiner Unternehmensorganisation ist.

Fazit

Die Zielsetzung des Qualitätsmanagements wird häufig nur auf die kurzfristige Zertifizierung ausgerichtet. Langfristige Effekte und notwendige Nebenbedingungen werden regelmäßig vernachlässigt. Es können häufig deutlich bessere Ergebnisse erzielt werden, wenn das Qualitätsmanagement von vornherein im Kontext des gesamten Unternehmens geplant und umgesetzt wird. Im Idealfall sollte das Qualitätsmanagement nicht das Hauptziel sein, sondern lediglich das Ergebnis einer guten Unternehmensorganisation. Das nächste Mal, wenn du Schwierigkeiten mit deinem Qualitätsmanagementsystem hast, frage dich, ob du deine Ziele richtig definiert hast

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