Teil 2: Die Wissensspirale nach Nonaka und Takeuchi
Die Wissenschaftler Ikujirō Nonaka und Hirotaka Takeuchi gelten neben Gilbert Probst als Mitbegründer des heutigen Wissensmanagements. Das von ihnen entwickelte SECI-Modell (Socialization, Externalization, Combination, Internalization) gilt inzwischen als Klassiker des Wissensmanagements. Es wurde erstmals 1995 vorgestellt und soll aufzeigen, wie Wissen in Unternehmen erzeugt und umgesetzt werden kann.
Das Modell basiert auf der Annahme, dass sich unser Wissen als Resultat eines ständigen Transformationsprozesses zwischen implizitem und explizitem Wissen manifestiert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Produkt der rein objektiven Informationsverarbeitung, sondern um einen Prozess, in dem die subjektiven Eindrücke, Eingebungen und Vorstellungen der Mitarbeiter integriert werden.
Bei dem subjektiven Erfahrungswissen des Menschen handelt es sich um implizites Wissen. Es ermöglicht die Ausführung verschiedener Tätigkeiten, ohne den Prozess im Detail erklären zu können.
Hier kann das Beispiel des Fahrradfahrens genannt werden:
Diejenigen, die Fahrrad fahren können, beherrschen implizit die vorausgesetzte physikalische Regel welche die Faktoren, wie den Neigungswinkel, die aktuelle Geschwindigkeit und den Lenkeinschlag berücksichtigt. Jedoch können nur wenige diese Regel genau, also explizit, erklären.
Im Gegensatz zum impliziten Wissen handelt es sich um explizites Wissen, wenn ein Mensch den Sachverhalt auch im Detail verbal vermitteln kann.
Die Wissensumwandlung
Laut Nonaka und Takeuchi kann das implizite Wissen einer Person, durch die Wissensumwandlung zum impliziten Wissen mehrerer Personen werden. Mithilfe der Wissensumwandlung kann das individuelle Wissen artikuliert und dem gesamten Unternehmen zu Verfügung gestellt werden.
Sozialisation: Wissen wird durch Beobachten in der betrieblichen Zusammenarbeit erworben und Beruht auf Erfahrungsaustausch.
Externalisierung: Implizit vorhandenes Wissen wird erfasst, dokumentiert und damit in explizites Wissen transferiert (Berichte, ...).
Kombination (engl.: Combination): Das durch Externalisierung neu geschaffene Wissen wird mit vorhandenem, explizitem Wissen kombiniert.
Internalisierung (lat.: verinnerlichen) Neues Wissen wird verinnerlicht. Es ist als implizites Wissen vorhanden und kann im Wege der Sozialisation an andere weitergegeben werden.
Das folgende Modell setzt sich aus den vier Schritten der Wissensumwandlung zusammen und veranschaulicht den Prozessablauf. Dabei können sowohl implizites als auch explizites Wissen in jeweils beide Formen übertragen bzw. umgewandelt werden
Sozialisation: von implizit zu implizit
Der Schritt “Sozialisation” findet durch Erfahrungsaustausch mehrerer Personen statt, dessen Ergebnis das implizite Wissen ist. Im Unternehmen dient der Erfahrungsaustausch ebenfalls der Verinnerlichung von Arbeitsabläufen. Die bloße Informationsweitergabe ist laut Nonaka und Takeuchi in diesem Fall kontraproduktiv, da es eines Erfahrungskontextes bedarf um die Denkweise des Gegenübers nachvollziehen zu können. Um den Prozess der Sozialisation so effektiv wie möglich zu gestalten, kann man ihn auf das gesamte Mitarbeiterspektrum ausweiten. Durch das “Brainstorming-Camp” hat der Automobilhersteller Honda seinen Mitarbeitern außerhalb der Arbeitszeit, die Möglichkeit gegeben sich untereinander über Problematiken oder Hürden Abteilungsübergreifend auszutauschen. Um die Qualität der Diskussionen zu erhöhen sind nur Wortmeldungen mit konstruktiven Vorschlägen gestattet. Dieses Konzept bietet einen Perspektivwechsel und kreativen Dialog untereinander und kann zur Stärkung des gegenseitigen Respekts und der effektiven Problemlösung führen.
Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung von Brotbackautomaten in den 1980ern: Die Techniker gingen bei einem Bäckermeister ‚in die Lehre‘, um herauszufinden, warum sich der Teig aus den Automaten so stark vom Teig des Bäckermeisters unterschied. Sie fanden durch Beobachten und Nachahmen heraus, wie der Bäckermeister den Teig behandelte und konnten so implizites Wissen erwerben, das sie später zur Weiterentwicklung ihrer Brotbackautomaten verwendeten
Externalisierung: von implizit zu explizit
Um das implizite Wissen für mehrere Mitarbeiter verfügbar zu machen, muss es artikuliert werden. Im Idealfall wird das implizite Wissen durch Analogien, Metaphern oder Modelle verständlich gemacht. Zur Reflektion dieser Konzepte bietet sich ein Vergleich mit bereits bestehenden Modellen an. Sollten Diskrepanzen bezüglich des neuen Konzepts bestehen, lassen sich diese durch Dialoge und Interaktionen lösen. Durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Bedeutungen in einer Metapher können wir Konzepte, die in unserem Verstand weit auseinanderliegen, miteinander verbinden und sogar abstrakte mit konkreten Konzepten verknüpfen.
Kombination: von explizit zu explizit
Der Kombinationsprozess dient dazu bereits bestehendes explizites Wissen mit neuem zu verbinden. Der Wissensaustausch und die Kombination von Wissen verläuft über Medien wie Dokumente, Besprechungen, Telefon oder Computernetze. Eine Neuzusammenstellung vorhandener Informationen kann durch Diskussionen, das Überarbeiten von Dokumenten oder über Netzwerke zu neuem Wissen führen. Aus einer Kombination mehrerer Konzepte kann ein neues, verbessertes Konzept für einen weiterentwickelten Prozess oder ein verbessertes Produkt entstehen.
Internalisierung: von explizit zu implizit
Durch die Internalisierung kann das explizite Wissen in das implizite Wissen umgewandelt werden. Dieser Prozess ist mit dem Prinzip des “Learning by doing” zu vergleichen.
Wenn Erfahrungen durch die vorangegangenen Schritte internalisiert werden, entsteht neues Wissenskapital. Die bereits erwähnten Dokumente können zu einem erfolgreichen Internalisierungsprozess beitragen. Hilfreich kann auch ein Erfahrungsbericht eines Kollegen sein, in dem ein Problem beschrieben und der Lösungsweg des Mitarbeiters dargestellt wird. Das mentale Modell wird so anderen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt und kann Teil der Wissenskultur im Unternehmen werden.
Laut Nonaka und Takeuchi entsteht nach jedem der vier Schritte eine spezifische Art des Wissens.
Sozialisation führt zu sympathetischem (mitempfindenden) Wissen, wie etwa gemeinsamen mentalen Modellen und technischen Fertigkeiten. Die Technik des Teigknetens im Beispiel des Brotbackautomaten zeigt die Entstehung von sympathetischen Wissen.
Das Ergebnis der Externalisierung ist die Entstehung von konzeptuellen Wissen. Durch das konzeptuelle Wissen kann eine Verbindung zwischen dem vorhandenen Wissen und neuen Informationen hergestellt und neue Konzepte geschaffen werden.
Der Schritt Kombination zieht systemisches Wissen nach sich, dass durch die Verbindung von bestehenden und neuen Erkenntnissen resultiert. Dieses systemische Wissen kann in Form eines Prototyps für ein innovatives Produkt auftreten.
Am Ende der Internalisierung entsteht operatives Wissen. Dieses entsteht am Ende eines Produktionsprozesses oder einer innovativen Dienstleistung.
Wie profitiert ihr Unternehmen von dem Modell?
Obwohl das intuitive Wissen der Mitarbeiter nicht unmittelbar in Worte zu fassen ist, kann sich die Umwandlung in explizites Wissen für Ihr Unternehmen lohnen. Im Hinblick auf den Wissensschwund in Unternehmen ist es ratsam im Voraus, das implizite Wissen der Mitarbeiter für das gesamte Unternehmen nutzbar zu machen. Gerade Klein- und Mittelständige Unternehmen sind abhängig von den Fähigkeiten und Kenntnissen einzelner Mitarbeiter. Wertvolle Fachkenntnisse und Kundenwissen, die essentiell für die Entwicklung neuer Lösungen und die Pflege von Kundenbeziehungen sind, befinden sich in den Köpfen weniger Experten.
Diesen Umstand können die Unternehmen produktiv nutzen. Der Informationsaustausch erfolgt aufgrund der geringen Betriebsgröße schneller, günstiger und unkomplizierter. Das implizite Wissen langfristig nutzbar zu machen, kann sich positiv auf die langfristige Wettbewerbsposition auswirken.
Kritik
Das SECI-Modell setzt voraus, dass die Umwandlung von Wissen stets nach dem oben beschriebenen Modell abläuft.
- Nonaka und Takeuchi gehen davon aus, dass sich das aufgezeigte Modell auf jede Form von Wissen anwenden lässt. Demnach kann jedes implizite Wissen externalisiert und in explizites Wissen umgewandelt werden. Durch Internalisierung kann dieses explizite Wissen von weiteren Personen wiederum in implizites Wissen umgewandelt werden. Es ist fraglich ob sich dies insbesondere bei sehr abstrakten Inhalte, wie z.B. soziale Praktiken oder Fähigkeiten wie Empathie, tatsächlich erfolgreich umsetzen lässt.
- Diese “starre Spirallogik” des Modells schließt von dem Modell abweichende Prozesse zur Generierung von Wissen aus, zum Beispiel das Lernen aus Büchern. Büchern beinhalten explizites Wissen, dass in implizites Wissen überführt werden soll. Der Internalisierungsprozess nach Nonaka und Takeuchi erfordert aber ausdrückliche auch eine praktische Umsetzung des Wissens, um implizites Wissen zu generieren. Demnach könnte z.B. aus einem Lehrbuch für die menschliche Anatomie kein implizites Wissen generiert werden.
- Das Modell von Nonaka und Takeuchi berücksichtigt ausschließlich die Übertragung von Wissen. Die Generierung von vollständig neuem Wissen durch Innovationen oder durch Ideen von Mitarbeitern wird keine Beachtung geschenkt. Es wird lediglich veranschaulicht, wie das bereits vorhandene, implizite Wissen einzelner Personen auf weitere Personen übertragen werden kann.
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